Dienstag, 21. August 2012

Winternacht


Winternacht, ich sitze auf dem großen Bett aus Kirschholz, streiche versonnen über die fusselige Decke, denke kurz an etwas nicht sehr Schlimmes und lasse mich zurück auf die Matratze fallen. Mein Blick geht zur Decke, dort sehe ich den Sternenhimmel mit all seinen Milchzähnen und eiernden Planeten. Ein Astronaut schwebt genüsslich durch diesen Nachthimmel und sein Gesicht erinnert mich an einen Heiligen aus einem Altarbild der Renaissance.

Gerne riefe ich ihm etwas zu, aber das verdammte Telefon ist belegt. Wütend werfe ich den Hörer in den Kirschwald und stehe auf. Dabei fällt mir auf, dass ich gar nicht gelegen bin, die ganze Zeit stand ich wie eine Vogelscheuche auf dem weiten Feld. Mein Plan ändert sich deswegen. Statt aufzustehen setze ich mich nun in einen putzigen Korbstuhl, mit Blick auf die Burgunderwellen des roten Meeres.

Ein Kellner tritt heran, ich bestelle ein Glas Wein. Bald kehrt er zurück, stellt vor mir einen prunkvollen Kelch auf den Marmortisch. „Geweihter Messwein.“ sagt er trocken. „Aber... das geht doch nicht! So etwas kann ich nicht trinken! Das verletzt gewiss die religiösen Gefühle anderer Gästen oder Passanten! Vielleicht ist es gar illegal!“ schreie ich empört.

Der Kellner lacht dumpf und zeigt auf das Neonlogo vor dem Café: „Café Blasphemie“ steht dort zu lesen. Dann steigt er in einen Lift, gefolgt von sieben in Rot gekleideten Löwen und fährt zur Hölle hinab.

Mir graut es. Da setzt sich Sigmund Freud an meinen Tisch, zieht den Kelch an sich und leert ihn glucksend in einem Zug. Sigmund schaut mir tief in die Augen. „Haben Sie jemals davon geträumt, ihre Cousine zu besitzen, mein Herr?“ fragt er mich. Das geht nun zu weit! Ich pflücke einen Revolver aus einem Apfelbaum um den frechen Sigmund zu erschießen. Zornig drücke ich den Abzug. Doch, o je!, die Waffe ist ja nur ein Wasserhahn! Ich stehe vor einem Waschbecken, die Hände kräftig eingeseift, und aus einem Lautsprecher dröhnt hässlich und schief eine Stimme wie die Karikatur eines Schlagersängers. „Oooo kleines Mädel – schädelschädelschädel – ich wasche meine Hände in Uuuuunschuld.“ singt er...


„Keine Angst, nur keine Angst“ flüstert mir plötzlich ein Eichhörnchen ins linke Ohr, nimmt mich bei der Hand, führt mich zu seinem fliegenden Teppich und wir gehen auf einen Flug in das Wunschland. Bevor wir dieses erreichen, überfliegt der Teppich ein großes, rotfarbenes Meer. „Mare Menstrualium.“ bemerkt das Eichhörnchen mit freundlicher Fremdenführerstimme.

Wir landen auf einem grellbunten, orientalisch anmutenden Jahrmarkt, Karusselle, bunte Buden überall, Schreien und Lachen, exotisch bekleidete Menschen. Und da sind auch Gertrude Stein, Helena Blavatzky und viele andere bekannte Gesichter, einige verwickelt in eine spannende Schachpartie gegen einen schwarzen Riesencomputer.

Auf einer Bühne in der Mitte des Marktes steht „Behemoths silbrige Satinseideband“ und bietet ein schwungvolles Music-Hall-Stück dar. „Winternacht, Kirschennacht!“ schmachten sie.

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