Dienstag, 17. Juli 2012


„Ich werde dieses Semester einen Kurs über griechische Lyrik veranstalten. Gänzlich unphilologisch. Sappho, Anakreon, Pindar sollen durchaus mit der ihnen gebührenden Achtung behandelt werden. Wie Dichter. Es wird gelesen, nicht emendiert, und keine Grammatik betrieben.

Die griechische Lyrik hat im Gegensatz zu den Sicherheitsvorrichtungen der Hochbahn, den Syndikaten und Kartellen, den Rechten und Pflichten des Staatsbürgers, den Grundprinzipien des modernen Parteilebens die Eigenschaft – für das moderne praktische Leben völlig belanglos zu sein. Nicht einmal zur allgemeinen Bildung gehört es, sich mit griechischer Lyrik zu befassen. Man „muß“ sie keineswegs gelesen haben. Man imponiert keinem Menschen damit, wenn man sie gelesen hat.“


Jakob van Hoddis, „Über griechische Lyrik“

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